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Hegenscheidt-MFD: die lange Firmengeschichte unserer Schwester

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Das Hegen­scheidt-Werks­ge­lände in Erkel­enz in einer Luft­auf­nahme aus dem Jahr 1954. Foto: Hegenscheidt-MFD

Kriege bewe­gen die Wirt­schaft in meh­re­ren Hin­sich­ten. Umstel­lung der Pro­duk­tion auf Rüs­tungs­gü­ter, Ver­le­gung der Pro­duk­ti­ons­an­la­gen in „siche­rere“ Berei­che, Demon­tage und Abtrans­port der Anla­gen nach einer Nie­der­lage in die Sie­ger­län­der. Oder Flucht, zumeist nur der Men­schen mit ihrem Wis­sen. Vor 72 Jah­ren, 1947, endete der Weg der Firma Hegen­scheidt von Rati­bor aus dem von der Sowjet­ar­mee erober­ten und pol­nisch gewor­de­nen Ober­schle­sien in Erkel­enz. Dort fei­ert man die­ses Jahr das 130-jäh­rige Bestehen des Unter­neh­mens, das sich einen Namen im Werk­zeug­ma­schi­nen­bau, vor allem mit Rad­satz­pro­fil­dreh­ma­schi­nen für Eisen­bah­nen, gemacht hat. Heute lie­fert das Unter­neh­men kom­plette auto­ma­ti­sche Anla­gen zur Rad­satz-Repa­ra­tur und ‑Her­stel­lung.

Der Ursprung der namens­ge­ben­den Fami­lie Hegen­scheidt liegt im west­fä­li­schen Altena, von wo Carl August Wil­helm Hegen­scheidt nach Glei­witz in Ober­schle­sien wech­selte und 1852 eine Draht‑, Nagel- und Ket­ten­fa­brik grün­dete, in der Sohn Wil­helm erste unter­neh­me­ri­sche Erfah­run­gen sam­melte, bevor die­ser 1889 in Rati­bor eine Firma für Bau­be­schläge grün­dete. Das Geburts­da­tum der heu­ti­gen Firma Hegen­scheidt. Wil­helm Hegen­scheidt ver­kaufte das Unter­neh­men bereits 1896 an Emil Blau und inves­tierte in die auf­stre­bende Ober­schle­si­sche Schwer­indus­trie. Geschicht­lich ist er als einer der Mit­be­grün­der die­ser Indus­trie bekannt.

Gesamt­an­sicht des Wer­kes in Rati­bor im Jahr 1912. Foto: Hegenscheidt-MFD

Rati­bor hatte nach Erkennt­nis­sen des spä­te­ren Fir­men­in­ha­bers Ber­nard Schon­dorff den Vor­teil, eine land­wirt­schaft­lich geprägte Klein­stadt am Rand des ober­schle­si­schen Indus­trie­ge­biets zu sein, in der noch genü­gend Arbeits­kräfte zu fin­den waren – damit ver­gleich­bar mit Erkel­enz, auf das 1947 auch des­halb die Stand­ort­wahl fiel. Dort wie hier, so Schon­dorff, betrie­ben Mit­ar­bei­ter der Stamm­be­leg­schaft Neben­er­werbs­land­wirt­schaf­ten als zwei­tes Stand­bein, zuträg­lich der Stand­ort- und Unter­neh­menstreue. Für die Her­stel­lung der Bau­be­schläge pro­du­zierte man zuneh­mend die Auto­ma­ten und Halb­au­to­ma­ten selbst – damit war die Werk­zeug­ma­schi­nen­her­stel­lung begrün­det. Nach wei­te­ren Maschi­nen für Berg­bau und Indus­trie wur­den Rad­satz­dreh­bänke für die Eisen­bahn ins Pro­gramm genom­men, auf die man sich schließ­lich spe­zia­li­sierte. Diese Ent­wick­lung wurde beson­ders geför­dert durch die Eisen­bahn­li­nien, die in gestei­ger­ter Inten­si­tät gebaut und nach Russ­land ver­schickt wur­den. Eine maß­geb­li­che Rolle spielte dabei auch der Kauf von Hegen­scheidt durch den begna­de­ten Tech­ni­ker und Erfin­der aus Öster­reich, Emil Blau. Die Erfin­dung eines mecha­ni­schen Pro­fil-Kopier­sup­portes für die Bear­bei­tung der Räder­pro­file durch Emil Blau wurde bis ins Jahr 1956 pro­du­ziert. Es wur­den ergän­zende Unter­neh­men wie Ach­sen­fa­brik, Schwei­ße­rei und eine Gie­ße­rei dazu­ge­kauft. Die Deut­sche Reichs­bahn deckte ihren Bedarf zu 60 Pro­zent bei Hegen­scheidt, der Export bediente die Aus­lands-Märkte aus­schließ­lich im euro­päi­schen Osten, in Russ­land, Weiss­russ­land, Ukraine auf dem Bal­kan und in China.

Fir­men­grün­der Wil­helm Hegen­scheidt. Foto: Hegenscheidt-MFD

Nach­dem das Hit­ler-Regime immer stär­ker wurde, erlit­ten die Auf­träge einen star­ken Abbruch auf­grund Emil Blaus jüdi­scher Her­kunft. Er starb 1932 und seine Witwe bot das Unter­neh­men Adolf Schon­dorff zur Über­nahme mit allen Akti­ven und Pas­si­ven gegen eine Leib­rente an und ver­ließ Deutsch­land nach Dänemark.

Anfang der 1930er Jahre über­nahm Inge­nieur E.H. Adolf Schon­dorff das Unter­neh­men, das von 1200 Mit­ar­bei­tern im Jahr 1912 auf 2500 im Jahr 1944 gewach­sen war – im Januar 1945 stand das Ende aller­dings unmit­tel­bar bevor, indem die Armee der Sowjet­union das schle­si­sche Indus­trie­ge­biet ein­ge­kes­selt hatte. Ledig­lich bei Rati­bor blieb ein „Tor“ Rich­tung Wes­ten offen, durch das ein gro­ßer Teil der deut­schen Indus­trie flüch­tete, der bei Hegen­scheidt Zwi­schen­sta­tion machen konnte, wie sich Adolfs Schon­dorffs Sohn, Diplom-Inge­nieur Bern­hard Schon­dorff, 1964 erin­nerte. Das Unter­neh­men hatte eine 24-Stun­den-Kan­tine, die von der eige­nen Land­wirt­schaft ein­schließ­lich Schwei­ne­zucht bedient wurde, die Flücht­linge wur­den ver­sorgt und konn­ten übernachten.

Aber auch Hegen­scheidt-Schon­dorff wollte vor der Erobe­rung nach Wes­ten aus­wei­chen, bei einem Meter Schnee und 30 Grad unter null wurde ein Lkw- und Pkw-Treck für 28 Fami­lien zusam­men­ge­stellt, der zur Tar­nung weiß gekälkt wurde, den Ber­nard Schon­dorff so zwi­schen der zurück­wei­chen­den Wehr­macht und der vor­drin­gen­den Roten Armee im fast unbe­hel­lig­ten Nie­mands­land führte, dass sie „kei­ner­lei Beläs­ti­gun­gen aus­ge­setzt“ waren. Man gelangte ins thü­rin­gi­sche Erfurt, wo Schon­dorff vom Ver­kehrs­mi­nis­te­rium in Ber­lin den Befehl erhielt, ins noch nicht eroberte Rati­bor zurück­zu­keh­ren, um dort die 14 fer­ti­gen Rad­satz­dreh­bänke im Werk her­aus­zu­ho­len, da sie für die groß­teils zer­störte Bahn­in­fra­struk­tur wich­tig waren. 33 Eisen­bahn­wag­gons hatte Schon­dorff zur Ver­fü­gung, sie kamen sogar aus dem Werk her­aus – die inzwi­schen befreite Tsche­cho­slo­wa­kei, durch die der Zug fah­ren musste, sperrte die Grenze, das Unter­neh­men war zu Ende.

Thü­rin­gen war von den Ame­ri­ka­nern besetzt, die nach den alli­ier­ten Ver­ein­ba­run­gen die­ses aber im Juli 1945 ver­lie­ßen, Hegen­scheidt aber einen Zug von 80 Wag­gons zur Ver­fü­gung stell­ten, um die Firma in die ame­ri­ka­ni­sche Zone nach Mün­chen zu brin­gen. Doch da gab es wegen der Eva­ku­ie­rung keine Ansprech­part­ner, man fuhr nicht dorthin.

Nach dem Ver­lust eines Groß­teils ihrer Kund­schaft und der Pro­duk­ti­ons­an­la­gen zogen die Schon­dorffs und Mit­ar­bei­ter wei­ter west­lich, baten den VDW (Ver­ein Deut­scher Werk­zeug­ma­schi­nen­fa­bri­ken) Part­ner­fir­men zu suchen, bei denen man die Pro­duk­tion wie­der auf­neh­men könnte, wenn sie über funk­tio­nie­rende Bear­bei­tungs­ma­schi­nen ver­füg­ten. Meh­rere Fir­men, wie in Düs­sel­dorf, Karls­ruhe, Gie­ßen schie­den aus, da sie von den west­li­chen Alli­ier­ten demon­tiert wur­den. Schließ­lich wurde man in Erkel­enz beim Bohr­ge­rä­te­her­stel­ler Alfred Wirth & Co. fün­dig, der dann neue Rad­satz­dreh­ma­schi­nen für die Firma Hegen­scheidt baute, die selbst als Ver­kaufs- und Kon­struk­ti­ons­büro agierte. Es musste zunächst bei die­sem Maschi­nen­typ blei­ben, da die ande­ren Pro­duk­ti­ons­werke aus Rati­bor nicht mit­ge­kom­men waren. Auf­grund der Erfah­run­gen aus dem Sek­tor der Achs­schen­kel Prä­ge­po­li­er­tech­nik baute man zusätz­lich Oberflächen-Feinwalzmaschinen.

Das Hegen­scheidt-Werk in Erkel­enz in einer heu­ti­gen Ansicht, foto­gra­fiert aus der Luft. Rechts ist der Bahn­hof zu erken­nen. Foto: Hegenscheidt-MFD

1964 beschäf­tigte Hegen­scheidt im eige­nen Betrieb in der Neus­ser Straße 100 Ange­stellte und 150 Arbei­ter, wobei die 15 Ton­nen schwe­ren Rad­satz­dreh­ma­schi­nen wei­ter­hin von den Arbei­tern bei und von Wirth her­ge­stellt wur­den. Die eige­nen Ange­stell­ten waren zu einem hohen Pro­zent­satz Inge­nieure und Kon­struk­teure, die unter ande­rem die erste voll­au­to­ma­ti­sche Rad­satz­dreh­bank der Welt ent­wi­ckel­ten. Inno­va­tio­nen gelan­gen auch im Bereich der Walz­ma­schi­nen, Preise wur­den gewon­nen, das Unter­neh­men kam kon­ti­nu­ier­lich voran.

1995 über­nahm der Bahn­spe­zi­al­aus­rüs­ter Voss­loh-AG Hegen­scheidt, bis Pro­fes­sor Hans J. Nau­mann 2001 das Unter­neh­men erwarb. Von 1970 bis 1982 war er bereits Gesell­schaf­ter und Geschäfts­füh­rer bei Hegen­scheidt und fügte es mit dem Kauf sei­ner in USA und Deutsch­land in Besitz befind­li­chen Werk­zeug­ma­schi­nen-Unter­neh­men hinzu. Die Ent­ste­hung der Niles-Sim­mons-Hegen­scheidt Gruppe (NSH-Group) war das Resul­tat. Sein Sohn John Oli­ver Nau­mann ist seit eini­gen Jah­ren eben­falls als Geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter der Gruppe tätig, die welt­weit an einer Reihe von Stand­or­ten mit Pro­duk­ti­ons­be­trie­ben, Ver­triebs- und Ser­vice­bü­ros breit im Werk­zeug­ma­schi­nen- und Maschi­nen­bau auf­ge­stellt ist.

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